„Geh stehlen statt wählen“ – weiße Großbuchstaben an der Wand einer Turnhalle. Als ich Frau W. anrief, um ihr zuzusagen, dass wir uns um die Angelegenheit kümmern, betonte sie mehrmals, dass kein Politiker jemals auf ihre Anfragen antworte. „Aber ich rufe Sie doch gerade an!“, sagte ich zwei oder drei Mal bis sie mir glaubte.
Frau W. ist über 80 Jahre alt. Sie ist vor einigen Jahren aus Schwabing nach Giesing gezogen. Dies empfindet sie als Abstieg. In Schwabing würde man nicht allerorten Schmierereien an den Wänden finden. Zwei bis drei Mal in der Woche nimmt sie den Bus 54, um ihre vertrauten Geschäfte in Schwabing aufzusuchen. Dort kennt man sie noch. Frau W. möchte etwas gegen Sprüche und „Schmierereien“ an den Giesinger Wänden unternehmen, vor allem gegen die, die sie als Angriff auf die Demokratie sieht. An der Turnhalle der Fromundschule stand: „Geh Stehlen statt Wählen“. Warum nur würden dieserart Sprüche hier im Viertel geduldet? Auch das zeige die Andersartigkeit des Viertels. Sie beklagt den erfühlten Niedergang guten Benehmens im öffentlichen Raum und liest gerade Manieren von Asfa-Wossen Asserate.
Bei der Stadt erfuhren wir auf unsere Anfrage, dass man die Entfernung der Sprüche bereits in Auftrag gegeben habe.
Zwei Wochen später ist der Spruch „Geh Stehlen statt wählen“ an der Fromundschule silberfarben übersprüht worden. Ich nehme nicht an, dass Frau W. das viel besser gefällt. Daneben steht noch „Feuer den Knästen“. Die Obsession mit Knästen in diesen Sprüchen ist auffällig. Irgendwo stand auch einmal „Die Knäste in der Demokratie sind die gleichen wie in der Diktatur“. Wer auch immer so etwas sprayt, mag ja persönlich unglückliche Erfahrungen mit Haftanstalten gemacht haben, mit Diktaturen aber eher weniger. Direkt am Schulgebäude, auf einer Höhe, bei der ich mich fragte, wie er dort angebracht wurde, stand zuvor „Schulen sind Knäste“. Dieser Spruch wurde professionel überstrichen, trotzdem stellte mein zehnjähriger Sohn einen direkten Zusammenhang her und meinte, „Feuer den Knästen“ müsse sich notwendigerweise auf die Schule beziehen.
Neu wäre das jedenfalls nicht mehr. In den 80ern des letzten Jahrhunderts gab es dazu Hurra, hurra, die Schule brennt von Extrabreit:
Was die Erwachsenen in meiner Erinnerung an diesem Text anrüchig fanden, war nicht die Idee, eine Schule anzuzünden, sondern die Verwendung des Wortes „geil“. Aber dieses Lied ist wieder ein anderer Text.