„Na ja, ungefähr zwei Monate vorher hatte eine neue Aushilfe angefangen. Eine Chinesin. Soll zum Studium nach Japan gekommen sein. … Jedenfalls ist Jingli, so heißt das Mädchen, eine ganz normale Studentin. Schwarze Haare, helle Haut, ungeschminkt. Mama Chanel hat einen richtigen Narren an ihr gefressen.“
„Das kann ich verstehen. Von der Sorte gibt’s in Shobashi ja nicht so viele.“
„Genau. Außerdem ist sie Chinesin. Die musst du, anders als Koreanerinnen, wirklich suchen. Na ja, viel kann sie jedenfalls nicht. Im Prinzip sitzt sie die ganze Zeit nur rum, Japanisch spricht sie auch nur wenig, und trotzdem himmeln die Kunden sie an …“
Aber du bist ein Mädchen, hätte ihr Opa gesagt, Mädchen brauchen keine Bildung, wenn man Geld in die Hand nähme, dann für ihre Brüder … Jingli ist klug. Sie denkt, wenn ich Japanisch spreche, kann ich in Japan arbeiten, und fängt an zu lernen. Sie hat übrigens nur mit einem Buch gelernt, mit einem ganz alten obendrein, deshalb sagt sie zu den Gästen manchmal so was wie: ‚Das ist lobenswürdig!‘ anstatt ’super‘ oder so, aber egal. … Aus meinem Dorf war noch niemand auf der Universität, sagt sie, die Augen voller Tränen. Um das nötige Geld dafür aufzubringen, hätten ihre Eltern trotz Anfeindungen und Beschimpfungen Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt. Dafür wolle sie etwas aus sich machen, fleißig lernen, einen Abschluss machen und ihren Eltern eine gute Tochter sein, sagt sie. Das Studium sei teuer, aber sie versuche zu sparen, deshalb arbeite sie in der Bar, sie versuche das Beste, das sei sie ihren Eltern einfach schuldig.
Dann findet Suzuka heraus, dass Jinglis Stundenlohn in der Bar höher ist als ihr eigener.
Am nächsten Tag stellte Suzuka Mama Chanel zur Rede. Sie stritten, und das war’s.
‚Das Mädchen kommt aus China, Mensch! Studiert, obwohl sie noch nicht mal richtig Japanisch kann, und legt sich für ihre Familie krumm‘, sagte Mama Chanel. ‚Ich komme aus Korea und lege mich auch für meine Familie krumm‘ erwiderte Suzuka weinend. ‚Aber Jingli ist jung. Und auch wenn sie hinterm Tresen nichts taugt, siei st Studentin. Eine Studentin in der Bar hat ihren Preis, so ist das nun mal‘, sagte Mama Chanel.
Irgendwann – in der Bar war nichts los – waren wir mal nur zu dritt, Suzuka, Jingli und ich. … Da wir nichts Besseres zu tun hatten, fragten wir Jingli nach China. Mit welchen Zeichen man ihren Namen schreibt und so.
Meinen Namen schreibt man mit den Zeichen für ’still‘ und ‚Heimat'“, äffte Makiko Jinglis chinesischen Akzent nach.
„Ob das Leben in China wirklich so hart sei? Ob die Leute wirklich so arm seien? Ob die wirklich alle im Mao-Anzug Fahrrad führen? Ob es immer noch in wäre, leere Nescafé-Gläser mit Oolong-Tee zu befüllen? Das hätte ich mal im Fernsehen gesehen. Ja, ja, sagt Jingli, in Peking würde man groß von Olympia reden, aber das wäre alles Augenwischerei, das gälte nur für einen Bruchteil der Chinesen, die meisten Leute hätten kein Geld, müssten sehen, wo sie bleiben, versuchten das beste aus dem zu machen, was sie hätten, viel wäre es nicht, aber weil es neben Geld auch an Know-how fehlte, wäre bei einem Erdbeben in Sichuan kürzlich eine Schule eingestürzt, und dabei wären ganz viele Kinder ums Leben gekommen. Die Toiletten hätten keine Türen, in ihrem Dorf wäre alles eins, Straßen, Häuser, Kühe, Menschen. Alle würden gern in einem so sauberen und reichen Land wie Japan leben, für viele wäre das ein Traum.
Dann kommen wir auf Politik. Wer ist da doch gleich der starke Mann? Hu Jintao? Jingli sagt jedenfalls, in ihrem Herzen sei für immer Deng Xiaoping, und legt sich die Hand auf die Brust.
Im Fernsehen liefen die Olympischen Spiele von Peking.
Mieko Kawakami: Brüste und Eier (2019), Übersetzung von Katja Busson (2020) Dumont